Ich habe es noch nie geschafft, ein Tagebuch konsequent zu führen. Warum also sollte mir das mit diesem Blog hier gelingen?
Es ist fast ein Jahr vorbei, seit ich das letzte Mal hier was veröffentlicht habe. Und mir hat nichts dabei gefehlt. Und doch wünschte ich mir mehr Kontinuität für mich. "Ich wär gern besser als ich bin, ist nicht schlimm, ich kriegs nicht hin" singt Annette Humpe von "ich & ich" und ich fühle mich in dieser Aussage sehr verstanden.
Und doch oder gerade deshalb starte ich nach mehr als einem dreiviertel Jahr "Abstinenz" einen neuen Versuch.
Mehr als ein Jahr Hauptverantwortung, berufliche Herausforderung, Anlaufstelle, Kummerkasten, Berater, Visionär, Hoffnungstifter, Meinungmacher, Abarbeitungsobjekt - mehr als ein Jahr Pastorin einer christlichen Gemeinde. Was für eine Zeit!
Gemeinde Christi ist ein Wahnsinnsabenteuer. Viele Menschen, viele Meinungen, viele Erwartungen. Viel Hoffnung, viel Liebe, viel Menschlichkeit, viel Mut.Viel Arbeit, viel Freude, viel Last und viel Lust.
Gemeinde Christi ist das radikalste Experiment, das ich mir denken kann. Das habe ich in meinem ersten Vikariatsjahr erlebt und das prägt mich und mein Selbst- und Fremdverständnis.
Vor einer Woche war ich im Kloster. Es war eine sehr ruhige und doch spannende Zeit, voller Gottes- und Selbstbegegnung. Mir selbst zu begegnen ist nicht so einfach, habe ich festgestellt und Freude und Leid liegen da nahe beieinander. Allein schon die Erkenntnis, dass ich in mir alte Verletzungen "spazieren" trage und obwohl ich dafür immer wieder bete und darum ringe, das diese Verletzungen doch endlich heilen können, verschafft es einiges an Befriedigung, dem anderen wenigstens intern sein Fehlverhalten unter die Nase reiben zu können. Nur leider ist das Gefühl des "Friedens" ein trügerisches und nicht von langer Dauer. Und dann? Na klar, auf und von vorn. Dem anderen sein Tun oder Lassen unter die Nase reiben zu können, verschafft Beschäftigung und gibt mir das Gefühl von etwas Macht. Und das ist das eigentlich Kranke daran. Einen Menschen, der mir quer liegt oder mich verletzt hat, mit meinem Stolz und meiner Unfähigkeit, zu vergeben, zu knechten, in Ketten zu legen. Und wenn man nicht ausgesprochene Gnade erlebt, hält man diesen "Knecht" ein Leben lang in Ketten. Doch wer braucht die Gnade? Der Knecht? Der vielleicht auch. Doch zuerst ich. Denn mit meinem Stolz und meiner Unvergebenheit, mit dem Willen, an den Wunden festzuhalten und sie auf keinen Fall sich schließen zu lassen, mache ich mich schuldig. Denn ich verhindere die Beziehung zu diesem Menschen. Und das ist Schuld - oder Sünde, wie die Bibel sagt.
Oft frage ich mich, warum viele Menschen heute auf der einen Seite eine große Sehnsucht nach Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung, Gerechtigkeit haben und auf der anderen Seite zu allererst danach trachten, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Vielleicht hat es was damit zu tun, dass wir immer an den alten Erfahrungen festhalten, ihnen keine Chance lassen, in Vergessenheit zu geraten oder überholt zu werden. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass wir immer wieder erleben, dass die kurzfristige Antwort auf Selbstlosigkeit, Hohn und Spott ist, dass es einfach merkwürdig anmutet, wenn ein Mensch sich für einen anderen einsetzt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Könnte das auch der Grund dafür sein, dass der Glaube an Jesus Christus heute keine Rolle mehr zu spielen scheint? Kann es sein, dass es schlicht unmöglich zu sein scheint, dass es Liebe und Annahme, Trost und Hilfe, Geborgenheit und Zuflucht ohne Leistung gibt?
Gemeinde Christi ist und bleibt spannend - gerade wegen der Herausforderung, die unbedingte Annahme des Menschen durch Gott zu leben, zu verkünden und angesichts der Vielfalt der Optionen auch anzunehmen.
Gut, das in aller Kürze. Es ist spät und ich werde meinem Tag an dieser Stelle ein Ende setzen.
Vielleicht werde ich doch treu und komme bald wieder, wer weiß das schon ...
1 Kommentar:
Schön, dass du wiedermal gebloggt hast. Lese deine Gedanken doch sehr gerne. Sind so spannend und bringen mich zum Nachdenken. Grüße aus Elstal
Theresa
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