Freitag, 10. Juli 2015

Nun geht sie


Vor etwa neunzehn Jahren begann das größte Abenteuer meines Lebens - ich war schwanger, und es sollte sich als die spannendste und schönste Zeit meines Lebens herausstellen, Mutter zu sein.

Als meine Große auf die Welt kam war Winter; Februar um genau zu sein. Und es war ein wirklich unwirtlicher Monat, den sich mein Kind zum geboren werden ausgesucht hatte. Bis heute gehört der Monat Februar nicht zu meinen Lieblingsmonaten, und ich gehe jede Wette ein, dass der Valentinstag auch nur deshalb im Februar begangen wird, weil man sich in diesen dunklen Tagen einfach gegenseitig Erhellendes sagen muss. Was ist da schöner als ein mit Blumen und Pralinen untermaltes "Ich liebe dich"? 
Sei's drum, der Februar ist ein Monat, auf den ich verzichten könnte, wäre da nicht...

...ja, wäre da nicht die Geburt meines ersten Kindes, meiner ersten Tochter. Als sie im Februar das Licht der Welt erblickte ging die Sonne auf und seither nie wieder richtig unter. Allein ihre Existenz gibt dem Monat einen Schein, der unbeschreiblich ist.

Achtzehn Jahre ist sie nun alt. Sie hat ihr Abi in der Tasche und demnächst wird sie ihre Koffer packen und für ein Jahr nach Israel gehen.

Cuxhaven - alte Liebe 2015
Für sie beginnt ein großes Abenteuer, für mich auch. Denn nun heißt es, sie von Herzen gern ziehen zu lassen, meine Gebete und guten Wünsche um sie herum zu legen, ihr all das zuzutrauen, was sie sich vorgenommen hat und noch mehr. Es heißt, Tränen des Abschiedsschmerzes zu vergießen (aber nicht zu viele), es heißt, sich zu erinnern, welch großartige Zeit wir miteinander hatten. Es heißt, die Lücke, die auch ihre Geschwister spüren werden, nicht ausfransen zu lassen, sondern mit Wertvollem zu füllen. Wertvolle Gemeinsamkeiten, wertvolle Begegnungen, wertvolle Zeit allein...

Ich vermute mal, jedes Kind das geht löst Trauer und Verlustschmerzen aus. Doch das erste kommt etwas unvermittelt, überraschend, ohne eine Idee davon, wie es sein und werden könnte. Später kann ich auch auf meine Erfahrungen mit dem Abschiednehmen und Loslassen zurückgreifen. Aber im Moment, in diesen Tagen ist es eben das erste Mal.


Was mache ich mit der Trauer der Geschwister? Wahrnehmen, zulassen, mittrauern, erinnern, vergewissern, dass Kontakt dank der vielfältigen Möglichkeiten nicht nur möglich, sondern sogar recht einfach ist...

mit meiner Großen vor dem Sendessal Bremen beim Amaryllis-Konzert
Und schlussendlich werde ich es sehen, wenn es dann soweit ist. Wenn sie gegangen und der Alltag eingekehrt ist. Wenn der Sommer in den Herbst übergeht und die Weihnachtszeit ranrückt - verbunden mit ungezählten Erinnerungen an ihr schönes und ansteckendes Lachen, ihre Lust am Advent, am Plätzchen backen, Krippe aufstellen, Baum kaufen, Geschenke verpacken, Ente braten, Wein genießen...

Sie geht - das stimmt. Und damit hinterlässt sie eine Lücke, die wir gestalten müssen und werden. Aber sie geht in ihr eigenes großes Abenteuer und das macht mich, neben dem Schmerz, unendlich stolz auf meine wunderbare Tochter, die es einfach kann: Aufbrechen in ihr eigenes Abenteuer.




Und wenn sie mich hin und wieder teilhaben lässt, werde ich es voll und ganz genießen...