In diesen Tagen gibt es einigen Grund, dankbar zu sein.
Heute feiern wir 25 Jahre Wiedervereinigung. Was wäre, wenn es dieses Ereignis nicht gegeben hätte? Wo stünden wir heute? Sicher ist diese Frage nur sehr begrenzt ernst zu nehmen, gibt es doch keine Antwort darauf. Aber sie kann uns helfen, einmal zu reflektieren, welch unfassbare Gnade wir in unserem Land erfahren haben. Es war keineswegs klar und unaufhaltsam, dass sich die beiden deutschen Staaten vor zweieinhalb Jahrzehnten wieder vereinten. Ein Grund für mich, zu staunen, zu freuen, nachzudenken, zu resümieren. Nun wächst zusammen, was zusammen gehört - so hieß es damals. Doch ist dem wirklich so? Spätestens mit dem Mauerbau am 13. August 1961 begann auch eine Entwicklung, in der sich die Deutschen sowohl in Mentalität als auch in Wertvorstellungen und Traditionen voneinander entfernten. Ganz nebenbei wurde dieser Ausspruch Willy Brandts aus dem Kontext gerissen und für die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten verwendet. Und doch: Dass wir heute mit Staunen und Dankbarkeit auf die Zeit des Zusammenwachsens (das noch lange nicht abgeschlossen ist), blicken können, ist für mich nicht selbstverständlich. Umso wichtiger ist mir unser solidarischer Umgang mit den Menschen auf der Suche nach Sicherheit und Frieden. Wir haben viel zu geben - ein Grund zur Dankbarkeit.
Morgen feiern wir Erntedank. Sicher, ich lebe in der Stadt, meine Begegnung mit Feldfrüchten und dem Ergebnis der Ernte beschränkt sich vornehmlich auf den Einkauf von Lebensmitteln. Wenn ich es schaffe, den Wochenmarkt aufzusuchen, gelingt es mir noch am ehesten, den Zusammenhang zwischen den Jahreszeiten und dem Ernteertrag herzustellen. Und doch löst dieser Tag jedes Jahr aufs Neue Dankbarkeit aus. Ich danke Gott für die Fülle, aus der ich leben kann. Ich danke Gott für den Rhythmus des Lebens, des Jahres, des Tages. Solange die Erde steht, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Sommer und Winter, Frost und Hitze, Tag und Nacht. Diese Zusage steht in der Bibel, ganz am Anfang, im ersten Buch Mose.
Es gehört zu den wichtigen Dingen in meinem Leben, diesen Lebensrhythmus wahrzunehmen. Er gehört zur Schöpfungsordnung Gottes, die zutiefst lebenspendend ist. Ein Grund zur Dankbarkeit.
Schließlich: Schaue ich mich in meinem Leben um und entdecke die vielen kleinen und großen Schönheiten, die Begegnungen und freudigen Erlebnisse, die Zeiten der Freude und die des Kummers, die Momente tiefsten Glücks und die schier unaushaltbarer Traurigkeit, entdecke ich jede Menge Grund dankbar zu sein.
Mit diesem Grundgefühl möchte ich diesen Herbst erleben und gestalten, und ich lasse mich überraschen, was mir dabei alles begegnet.